“Ich mach ein Lied aus Stille…
…und aus Septemberlicht”
Der Herbst als Symbol für das heraufziehende Ende, das langsame Vergehen und Vergessen, aber auch für zerbrechliche Schönheit, Sehnsucht, Innigkeit:
Zahllose Dichter haben ihren Texten diese Empfindungen in starke Worte gefasst, von Joseph von Eichendorff über Hermann Hesse bis zu der 2011 gestorbenen Eva Strittmatter. Auf Komponisten seit dem 19. Jahrhunderts übten gerade diese Texte eine magische Anziehungskraft aus. Insbesondere der Monat “September” taucht dabei in allen heute präsentierten Werken als Leitmotiv auf.
Richard Strauss schrieb nach Kriegsende 1948 seine vier letzten Lieder auf solche Gedichte, wieder tief in seinem spätromantischen Tonfall. Ursprünglich selbst ein musikalischer Provokateur (man denke an die Opern Salome und Elektra), zeigt die Idylle seiner Tonsprache jetzt einen Künstler, der mit seinem Schaffen und auch mit der Welt abgeschlossen hat, ihr auch gedanklich soweit entrückt ist, die Schrecken des gerade erlebten Krieges ausblenden zu können. Während Schönberg ein Jahr zuvor bereits sein ergreifendes Melodram “Überlebender aus Warschau” musikalisch an die Schmerzgrenze führt, zelebriert Strauss eine sentimentale Nostalgie, die am Ende dieser äußerst anspruchsvollen Lieder die Musik erschöpft zu Boden sinken lässt. Hiernach ist kein Raum mehr für weitere Musik, im darauffolgenden Jahr stirbt Strauss.
Was bei Richard Strauss das Ende ist, ist bei Alban Berg der Anfang: Mit 22 Jahren präsentiert er 1907 in Wien drei seiner Lieder, die er unter seinem Lehrer Schönberg geschrieben hat. Musikalisch noch in der Spätromantik und im Impressionismus verankert, bilden sie den erst den Beginn der kompositorischen Entwicklung, die ihn weit über die Grenzen der Tonalität befördern wird. Erst 1928 veröffentlicht er aus seinem umfangreichen Liedschaffen der jungen Jahre sieben Lieder, die anderen hielt er für nicht gut genug.
Diese Stücke zeigen bereits eine beeindruckende Beherrschung von Harmonik und Melodik. Die Klavierbegleitung ist äußerst dicht gewebt und enthält zahlreiche Details, die in der späteren Orchesterfassung noch besser zum Vorschein treten. Inhaltlich kreisen die vertonten Gedichte von bekannten und weniger bekannten Autoren um Themen von Liebe, Sehnsucht, Abschied.
Dem Werk der Schriftstellerin Eva Strittmatter begegnete ich eher zufällig in einer antiquarischen Ausgabe. Ihre Sprache ist ausdrucksstark, voller intensiver Sinneseindrücke, voller Erinnerung, dabei schlicht in der Form, vielfach mit klassischen Metren und Reimen, auch das eher ungewöhnlich für die Dichtung des 20. Jahrhunderts. Ihre Gedichte stehen für mich gedanklich in einer Linie mit Autoren wie Rilke und anderen Romantikern und schließen sich daher nahtlos an die Vertonungen von Strauss und Berg an. Für meine eigene Vertonung reizte mich Strittmatters Beschreibung eines Liedes aus “Stille” und aus “Licht”. Meine Musik arbeitet mit spärlich gesetzten Akkorden, in deren Nachhall die Stimme zunächst nur kleinste Vokalisen (gesungene Vokale ohne Text) legt. Die Klänge erscheinen wie Farbnuancen eines verblichenen Fotos. Wie in einer Kirche die Besucher häufig nur im Flüsterton miteinander sprechen, um die zerbrechliche Stimmung nicht zu zerstören, wird auch in meiner Vertonung der Gedichttext in den Nachhall der Klänge hineingeflüstert - jedes dramatische Aussingen wäre schon zu viel.
Programm:
Richard Strauss: Vier letzte Lieder (1948)
Frühling (Hermann Hesse)
September (Hermann Hesse)
Beim Schlafengehen (Hermann Hesse)
Im Abendrot (Joseph von Eichendorff)
Alban Berg: Sieben frühe Lieder (1905-1908)
1. Nacht (Carl Hauptmann)
2. Schilflied (Nikolaus Lenau)
3. Die Nachtigall (Theodor Storm)
4. Traumgekrönt (Rainer Maria Rilke)
5. Im Zimmer (Johannes Schlaf)
6. Liebesode (Otto Erich Hartleben)
7. Sommertage (Paul Hohenberg)
Michael Schultheis: Ich mach ein Lied aus Stille (2021) (Uraufführung)
Ruth Theresa Fiedler (Sopran)
Michael Schultheis (Klavier)