Auswege
Programm
Olivier Messiaen (1908-1992)
L’Ascension (Himmelfahrt) (1933-34)
Quatre méditations symphoniques
Majesté du Christ demandant sa gloire à son Père (Majestät Christi, der seine Verherrlichung vom Vater erbittet)
Alléluias sereins d’une âme qui désire le ciel (Fröhliches Halleluja einer Seele, die nach dem Himmel verlangt)
Alléluia sur la trompette, alléluia sur la cymbale (Halleluja der Trompeten und Zimbeln)
Prière du Christ montant vers son Père (Gebet des zu seinem Vater auffahrenden Christus)#
Dominik Susteck (*1977)
Orgellabyrinth (2020)
Spiegelkabinett
Der Rufer
Runner
Schwarzes Loch
Unendlichkeit
Maximilian Schnaus, Orgel (Berlin)
Gesellschaftliche “Aussteiger” werden meist mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis betrachtet. Menschen, die sich aus dem Korsett von üblichen Lebensweisen, beruflichen und sozialen Verpflichtungen lösen, sich vom Streben nach Erfolg oder Geld befreien, sich von einem wie auch immer definierten “gewohnten”, modernen und komfortablen Lebensstil verabschieden, kurzum: die “Auswege” aus dem gewohnten Alltag suchen, werfen unweigerlich Fragen auf: Sind sie verrückt oder ich?
Das Phänomen ist keineswegs neu, schon der antike Philosoph Diogenes, der aus freien Stücken in einer Tonne lebte, war ein solcher Aussteiger. In gewisser Hinsicht ist auch die christliche Erzählung von der Himmelfahrt eine solche Ausstiegs- (und Aufstiegs)geschichte, der auferstandene Jesus lässt das irdische Leben endgültig hinter sich. Ein Glaubensmysterium, das der zutiefst gläubige Katholik Oliver Messiaen in vier Bildern vertont hat. Messiaens farbenreiche und wagemutige Tonsprache steht hier noch am Anfang ihrer Entwicklung, lässt aber schon erahnen, wie der spätere Messiaen seine unverwechselbare und hochinnovative Musik erfindet, die auch zeitlebens anders bleibt als die seiner Kollegen.
Auch Dominik Susteck ist einer, der Auswege sucht aus dem großen Meer des schon musikalisch bekannten. Einer, der die Grenzen des Möglichen gerne verschiebt, sich musikalisch in die Randgebiete wagt. Seine Musik ist dicht und hochkonzentriert in ihrer Entwicklung von Ideen, abstrakt und dennoch immer zu Assoziationen einladend. Das Orgellabyrinth wurde anlässlich des 50. Orgeljubiläums von der Sophienkirche Berlin mit der Unterstützung des Musikfonds e.V. in Auftrag gegeben. Die 5 Sätze haben einen recht unterschiedlichen Charakter. Der erste Satz „Spiegelkabinett“ lebt von den beiden gegensätzlichen Manualen der Orgel, die wie Spiegel einander gegenübergestellt werden. Als weitere Ebene tritt das Pedal echoartig hervor. „Der Rufer“ nutzt das Register Trompete, das sich immer weiter in ein Rufintervall hineinsteigert. „Runner“ besteht aus Repetitionen, das „Schwarze Loch“ saugt mit liegenden Clustern jegliche Melodik und Harmonik auf. Im letzten Satz erklingt nicht nur die Orgel, sondern auch ein angestrichenes Weinglas auf dem 3-gestrichenen cis: „in vino veritas“ als offenes Ende.
Die Konzertreihe “neuer geist. neue musik” präsentiert die Orgel als kreatives und faszinierendes Instrument des 21. Jahrhunderts. Außergewöhnliche Klangerfahrungen in Kompositionen und Improvisationen von Komponisten der Gegenwart, experimentelle Herangehensweisen und anspruchsvolle Konzepte. Der ungewohnte Klang vielleicht als Spiegel der Andersartigkeit einer spirituellen Erfahrung? .
Biografien:
Der Organist und Komponist Maximilian Schnaus studierte Kirchenmusik und Orgel in Hannover und Amsterdam bei Pier Damiano Peretti und Jacques von Oortmerssen. Er erhielt Stipendien der Yehudi-Menuhin-Stiftung und der Studienstiftung des deutschen Volkes, und legte er in der Klasse von Leo van Doeselaar an der Universität der Künste Berlin sein Konzertexamen mit Auszeichnung ab. Neben Werken des Barock und der Romantik bilden vor allem die großen Orgelwerke des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts von Ligeti, Stockhausen, Ferneyhough, Hölszky, Cage, Feldman und Messiaen den Schwerpunk seines Repertoires. Er realisierte Uraufführungen u.a. von Albert Breier, Philipp Maintz, Domink Susteck und Hyunwha Cho.
Maximilian Schnaus ist Preisträger verschiedener Kompositions- und Orgelwettbewerbe, u.a. gewann er den Paul-Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein-Musikfestivals, den internationalen Orgelwettbewerb für zeitgenössische Musik am Berner Münster und wurde Artist in Residence der Stiftung Kunst und Musik für Dresden. Er war bei verschiedenen Festivals zu Gast, etwa dem Festival „Mixturen“ in St. Peter in Köln und „Spring Pipes“ an der neuen Experimentalorgel St. Martin in Kassel, und konzertierte in zahlreichen Kirchen und Konzertsälen in verschiedenen Ländern Europas und Asiens. Mit dem Orgelprojekt für die Berliner Zionskirche setzt sich Maximilian Schnaus intensiv für den Bau einer neuen, speziell auf die Anforderungen zeitgenössischer Musik ausgerichteten Orgelanlage in Berlin ein.
Dominik Susteck (*1977 in Bochum) studierte 1999-2005 Kirchenmusik, Komposition, Musiktheorie und Orgel an der Folkwang-Hochschule Essen, der Hochschule für Musik und Tanz Köln und der Hochschule für Musik Saar. Seine Lehrer waren Gisbert Schneider, Eberhard Lauer, Markus Eichenlaub und Wolfgang Rübsam (Orgel) sowie Nicolaus A. Huber und Johannes Fritsch (Komposition). Zudem besuchte er Kurse bei Gerd Zacher. Sein A-Examen Kirchenmusik und Konzertexamen Orgel schloss er mit Auszeichnung ab. 2006-2008 machte er das Zweite Staatsexamen Schulmusik am Studienseminar Wuppertal und unterrichtete zwei Jahre an einem Gymnasium. 2007-2021 war er Organist der Kölner Kunst-Station Sankt Peter.
Als Kooperationspartner kuratierte und begleitete er bis zu 80 Konzerte im Jahr, darunter auch Großveranstaltungen und Festivals. Zudem veranstaltete er fünfzehn mal das Festival für zeitgenössische Orgelmusik orgel-mixturen, kuratierte das Festival future pipes in Frankfurt/Main und die Nacht zeitgenössischer Orgelmusik in Berlin.
Neben Lehrtätigkeit an Hochschulen in Essen, Düsseldorf, Weimar und Köln machte Dominik Susteck mit modernen Improvisationskonzerten auf sich aufmerksam. Daneben spielte er zahlreiche Uraufführungen von Werken jüngerer Komponisten (Janson, Odeh-Tamimi, Pena, Froleyks, Köszeghy, Ruttkamp, Seidl, Wozny u.a.). Sein überwiegend auf zeitgenössische Musik ausgerichtetes Repertoire (Herchet, Hölszky, Kagel, Ligeti, Rihm, Stockhausen, Stäbler u.a.) präsentierte er auf mehreren CDs beim Label Wergo und Querstand in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk, zweimal hintereinander erhielt er dafür den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Als Komponist wurde er mit Preisen ausgezeichnet (Deutscher Musikwettbewerb, Preis Zeitgenössische Geistliche Musik Schwäbisch Gmünd, Klaus-Martin-Ziegler Preis, Schneider-Schott-Musikpreis u.a.).